Die Geschichte der Schlutuper Strecke
Erstellt am Donnerstag, 20. Februar 2014
geschrieben: Melchior Leiß
Hinweis: Die Nummern in eckigen Klammern neben den Fotos entsprechen den Archiv-Nummern des Gemeinnützigen Vereins Schlutup.
Am 20. August 1902 wurde die Strecke Lübeck - Schlutup feierlich eingeweiht. Diese Strecke bildete den ersten Baustein einer Reihe von Baumaßnahmen, die rund ein Jahr zuvor von der LBE und dem Lübschen Senat im Zusammenhang mit umfangreichen Neubaumaßnahmen - Stichwort "Neuer Hauptbahnhof" - genehmigt worden waren.
Der Gemeinnützige Verein Schlutup ist im Besitz eines umfangreichen Fundus mit Fotos von der Einweihungszeremonie aber auch .den folgenden Jahrzehnten bis zur Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Dieser Teil des Bildarchives soll hier im Folgenden präsentiert werden ergänzt um einige wenige aktuelle Fotos.
Das Foto zeigt eine Postkarte mit dem Motiv des Eröffnungszuges [Nr. 0027]
Das Eröffnungsfest am 20. August 1902 wurde, wie damals üblich, würdig begangen; "Hurra, Hurra, Hurra - lang lebe der Kaiser!" [Nr. 0230]
Die Honoratioren, geschätzt 70 -80 Herren mit Zylinder, haben Stellung bezogen zum Gruppenfoto; die Lok - es muss eine der vier B-Tenderloks "Travemünde", "Schwartau", "Barnitz" oder "Priwall" sein - ist festlich geschmückt, nota bene der
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Lübsche Doppeladler auf der Rauchkammertür! [Nr. 0423] |
Die Lokomotive hat für die Rückfahrt umgesetzt. [Nr. 1189] |
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Der Festzug hier noch einmal vor der Rückfahrt. [Nr. 1771] |
Und aus einer anderen Perspektive. [Nr. 2625] |
Diese Gedenkpostkarte zeigt mit Sicherheit nicht den Eröffnungszug, denn bei der Lokomotive handelt es sich um eine der neueren G2 Güterzug-C-Kuppler vor einem kurzen Güterzug.
[Nr. 0240]
Es ist nicht dokumentiert zu welchem Ereignis hier "Aufstellung" genommen wurde! Vermutlich nicht zur Eröffnungsfahrt.
[Nr. 0231]
Die lübsche Ortschaft Schlutup - seit Jahrhunderten das Zentrum der Lübecker Fischindustrie - war gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts in einen immensen Konkurenzdruck geraten. Besonders Altona hatte nach dem Anschluss des Hafens an die Staatsbahnen gegenüber dem lediglich per Pferdegespann erreichbaren Schlutup einen bedrohlichen Wettbewerbsvorteil erzielen können.
Es ist also festzustellen, dass die Schlutuper Bahn von Anfang an nicht in erster Linie dem Personenverkehr dienen sollte. Damit ist auch erklärlich, dass der ohnehin mit einem äußerst sparsamen Fahrplan bediente Personenverkehr nach Eröffnung der Straßenbahnlinie nach Schlutup im Jahre 1914 dann auch 1916 wieder eingestellt wurde.
Aber zunächst wurde auch der gesamte Güterverkehr der Fischindustrie am Bahnhof nördlich des Mühlenteiches abgewickelt, denn die Fischbetriebe waren am Hafen zur Schlutuper Wiek angesiedelt.
Auszug aus dem Messtischblatt 1914 der Preußischen Landaufnahme.
Die Schlutuper Strecke brachte den Betrieben der Fischindustrie - es ging um Räucherfisch und Fischkonserven - die erwünschte Anbindung an die Eisenbahn-Infrastruktur des Deutschen Reiches. Die ursprünglich aus kleinen Räucherreien auf der Basis von Familienbetrieben bestehende Industrie nahm in der Folge einen gewaltigen Aufschwung. Es bildeten sich die ersten großen Fischverarbeitungsfabriken. Im Jahre 1907 gab es bereits 24 Betriebe, wie die folgende Glückwunschkarte zeigt:
Bis 1929 waren es dann insgesamt 50 Betriebe, die mit 75% Marktanteil bei Räucherfisch und Fischkonserven den deutschen Markt beherrschten! Die größten Betriebe mit jeweils über 50 Mitarbeitern waren damals Hawesta (Hans Westphal), Leckermäulchen (Wilhelm Krakow), TipTop (Wilhelm Bade), Anker (Fritz Steffen), Wefina Feinkost (Günter und Ilse Wehowsky) und Lubeca (Niemann).
Diese Betriebe siedelten sich im neu erschlossenen Hafengebiet nordwestlich des Ortskerns am Ufer des Großen Breitlings an. Hinzu kamen auch Betriebe diverser anderer Branchen mit entsprechendem Transportaufkommen. Damit entstand der Bedarf einer direkten Schienenanbindung; diese wurde bereits in den Jahren 1910 bis1919 realisiert.
Die Firma Lubeca (Niemann) betreibt Werbung mit Hilfe von Güterwagen, die offenbar mit Kreide-Anschriften versehen wurden [Nr. 1747].
Hinweis: Ein Link zum Thema "Fischindustrie" befindet sich am Ende des Beitrages.
Auszug aus dem Messtischblatt 1920 der Preußischen Landaufnahme.
Interessant ist übrigens die bereits deutlich erkennbare Industrialisierung auf dem gegenüberliegenden Traveufer in Herrenwyk mit eigenem Hafenbecken! Die Bahnstrecke geht nun bis zum Traveufer.
In der Folge wollen wir - ohne genaue Datierung - Fotos präsentieren, die in den Jahren zwischen den Kriegen in Schlutup im Zusammenhang mit der Schlutuper Bahn aufgenommen wurden.
Wir beginnen mit einem der ersten "Winterfotos" aus dem Zeitraum 1920 - 1945 [Nr. 0987].
Der Personenverkehr nach 1914 und der Eröffnung der Straßenbahnverbindung war zumindest bis zum eigentlichen Schlutuper Bahnhof schon 12 Jahre nach der Eröffnung bereits beendet - wir sehen einmal von den (Zwangs)-Arbeiterzügen während des 2. Weltkrieges ab, die aber schon vom am westlich gelegenen Haltepunkt am jetzigen Abzweiger der Umgehungsstraße in das Gelände der Munitionsfabriken geführt wurden.
Die Perspektive dieses Fotos ist gegenüber dem vorherigen sozusagen rund 200 m nach Osten versetzt unten am Mühlenteich [Nr. 0989].
Nun begeben wir uns auf die gegenüberliegende Seite des zugefrorenen Mühlenteiches [Nr. 0990}.
Diese Aufnahme zeigt eine mächtige Dampfwolke einer offenbar in den Bahnhof (links am markanten Giebel erkennbar) einfahrenden Lok. Aufnahmestandort muss der Hügel zwischen Wesloer Straße und Mecklenburger Straße sein [Nr. 0989].
Der Teil des Bahnhofes mit der überdeckten Halle zur Güterabfertigung von der Wesloer Straße aus gesehen [Nr. 1180].
Eine Aufnahmeposition weiter östlich mit dem Hauptgebäude des Bahnhofes hinter den Gärten von Anwohnern der Wesloer Straße [Nr. 1148]
Szenenwechsel: Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1932 vom TipTop Werk und seinem Gleisanschluß im neuen Industriegebiet. In der Zeit vor dem 2. Weltkrieg etablierten sich alle großen Fabriken im Gelände am Breitling mit jeweiligen Anschlussgleisanlagen. Im Hintergrund erahnt man im übrigen die Silouette des Hochofenwerkes Herrenwyk.
Ein Thema ist hier komplett ausgeblendet, da es auch keine Fotos dazu gibt: Der Gleisanschluss und die Gleisanlagen zu den Minitionsfabriken DWM und MfM, heute noch am westlichen Ortseingang von Schlutup und der Abzweigung der Umgehungsstraße nach Selmsdorf erkennbar. Direkt dahinter ist sind auch heute noch die Reste des Haltepunktes Schlutuper Tannen erkennbar.
Foto: Birger Kaiser
Spätestens seit 1936 -der Inbetriebnahme der Munitionsfabriken - dürfte der entsprechende Personenverkehr einerseits und Güterverkehr andererseits die verbliebenen Gütertransportleistungen in Sachen Fischindustrie bei weitem übertroffen haben.
Nach dem 2.Weltkrieg ging es mit Schlutup erstaublich schnell wieder bergauf. Hauptgrund dürfte gewesen sein, dass Fisch - und zwar speziell in geräucherter oder konservierter Form - für die Ernährung der deutschen Bevölkerung in den schlimmen ersten Jahren eine vergleichsweise preiswerte Rolle spielte. Hier nun Fotos aus dieser Zeit von den "TipTop Fischwerken Albert Holst KG", einem der sechs großen Fischverarbeitungsbetriebe.
Verladung von Fischkonserben im Jahre 1948 auf G-Wagen preußischer Bauart der West-DR [Nr. 2517].
Ein weiteres Foto aus dem Jahre 1948; das Markenzeichen "TipTop" ist am Schornstein erkennbar [Nr. 2525].
Nunmehr eine Ansicht aus dem Jahre 1951 Inzwischen wurde das bereits zu DR Zeiten geplante Container-Konzept "Von Haus zu Haus" eingeführt [Nr. 0286].
Hier ein zweites Foto aus einer etwas anderen Perspektive [Nr. 2518].
Ein weiteres Foto aus dem Abfertigungsbereich für Konservenlieferungen per Bahn und speziell "Von Haus zu Haus" , die Container noch mir "DR" Kennzeichnung [Nr. 0287].
Ein letztes Fotos aus dem Abfertigungsbereich, die die Beladung zeigen [Nr. 2471].
Zum Abschluss ein Foto von der Fischfabrik TipTop aus dem Jahr 1956 [Nr. 2482]
Die Schlutuper Strecke hatte ja mit allen Anlagen zum 1. Januar 1938 zusammen mit der gesamten LBE den Besitzer gewechselt. Damit hatte zunächst die Reichsbahn - später die DB - das Sagen.
Der Schlutuper Bahnhof selbst war ja ab 1916 kein Personenbahnhof mehr. Nichsdestotrotz war der Schlutuper Bahnhof noch bis 1982 ein Güterbahnhof der DB, genauer "Güterabfertigungspunkt" .Insofern wurden die Bahnhofsanlagen auch noch bis dahin in Schuss gehalten. Im übrigen ging aber der Güterumschlag hier stetig zurück.
Hier ein Fotoaus dem Jahre 1982, es ist noch alles im besten Zustand! [Nr.3609]
Ein Blick von der Westseite [Nr. 3607]
Aus einer anderen Perspektive mit Schüttgutwagen [Nr. 3606 ]
Während auch die Fischindustrie in den 60er bis 80er Jahren mehr und mehr an Bedeutung verlor, gewann das Traveufer im Westen Schlutups erheblich an Bedeutung als weiteres Umschlags-Terminal der Lübecker Häfen. Der Schieneneverkehr bestand defacto fast nur noch aus dem Transit hinunter in das Hafengebiet. Es ist nicht verwunderlich, dass die DB im Jahre 1982 die Güterabfertigung aufgab. Die Lübecker Hafenbahn - heute Teil der LPA (= Lübeck Port Authority) beherrschte nunmehr den Verkehr auf der Schutuper Strecke. Der einstige Personenbahnhof war nun nur noch Betriebsbahnhof der DB mit dem einzigen Zweck des Kopfmachens hinunter in das Hafengebiet auf dem Anschlussgleis der Lübecker Hafenbahn.
Der Schlutuper Bahnhof reduzierte sich nunmehr - wie bereits berichtet - zum reinen Betriebsbahnhof für die Güterzüge zum Schlutuper Hafen; diese mussten hier ja nach wie vor Kopf machen. Nichtsdestotroz erlebte er mehrfach ein "Erwachen aus dem Dornröschenschlaf". Nämlich immer dann, wenn er zum Ziel von Sonderfahrten wurde.
Am 19.und 20. Mai 1984 wird Schlutup vom Verein Lübecker Verkehrsfreunde mit dem Doppelstockwagen, der V 200 007 der BSW-Gruppe und der 220 013 besucht. An den beiden Tagen fanden Pendelfahrten zwischen Lübeck Hbf und Schlutup statt. Gleichzeitig gab es eine kleine Kirmes-Veranstaltung rund um den Bahnhof.
Weitere Besuche durch Museumszüge gab es in der Zwischenzeit - zuletzt fanden am 24. und 25. August 2013 Pendelfahrten zwischen Lübeck Hbf, Schlutup und dem Skandinavien-Kai statt. Diesmal mit einer bunten Garnitur bestehend aus der Nossener 03 2155-4, den Donnerbüchsen der Mecklenburgischen Eisenbahnfreunde Schwerin sowie den ABm/ABy/BDm-Wagen der Historischen Eisenbahnfreunde Lübeck.
Im übrigen werden die Gleisanlagen des Schlutuper Bahnhofes - und sie müssen es auch nach wie vor - als Betriebsbahnhof genutzt werden für den lebhaften Güterverkehr. Denn für alle Güterzüge, die die Gleisanschlüsse im Hafenbereich bedienen sollen, gilt es, hier Kopf zu machen.
Wünschen wir also dem Schlutuper Bahnhof eine Zukunft als Betriebsbahnhof des täglichen Güterverkehrs sowie hin und wieder ein Erwachen aus dem Dornröschen-Schlaf, wenn einmal wieder Gäste von Sonderfahrten in Scharen die hiesigen Anlagen bevölkern!
Unser Dank gilt ausdrücklich dem Gemeinnützigen Verein Schlutup, der einen Großteil der historische Fotos zur Verfügung gestellt hat.