His Glanzzeit Bild 08Original-Akten der Lübeck-Büchener Eisenbahn widerlegen Fachliteratur

Erstellt am Mittwoch, 29. September 2010
Geschrieben von Klaus Busse

Wer die bekannteren Veröffentlichungen (s.Literaturverzeichnis am Ende dieses Beitrages) über die Lübeck-Büchener Eisenbahn-Gesellschaft (LBE) und ihre Lokomotiven durchliest, findet über die S10-Schnellzug-Lokomotiven durchweg die folgenden Aussagen:

1.) Die LBE hat in den Jahren 1912 bis 1914 in zwei Bestellungen zunächst fünf
      2’C-Vierzylinder-Lokomotiven der Gattung S10 beschafft,

2.) Bei der nächsten Beschaffung im Jahr 1919 - Lok Nr.16 und 17 - wählte man die
    „modernere“ Dreizylinder-Variante, folgerichtig auch bei der LBE als S10² bezeichnet.

3.) Bereits im Jahr 1920 wurden zwei der S10-Loks - genau genommen Lok Nr.14 und 15 - wegen 
      Schäden am Zylinder-Guss-Stück zu Dreizylinder-Lok (Gattung S10²) umgebaut.

Darin sind sich Werner Hubert [1] bereits 1926 und später z.B. Alfred B.Gottwaldt [3] oder Manfred Weisbrod [4], alles anerkannte Eisenbahnfachleute, einig.

Bei kritischer Betrachtung finden sich aber durchaus auch Hinweise, dass diese Angaben vielleicht doch nicht ganz zutreffend sind. Wer in dem als Nachdruck erhältlichen LBE-Betriebsmittelverzeichnis nachschaut, findet bei den S10-Vierzylinder-lokomotiven außer Nr.11 bis 15 auch die Loks Nr.16 und 17 verzeichnet. Und direkt dahinter sind die (unstrittig) umgebauten Loks Nr.14 und 15 als Dreizylinderloks zusammen mit den Loks Nr.16 und 17 auf einer Seite eingetragen.

Die bisher nur zum Teil ausgewerteten Beschaffungs-Akten der Lübeck-Büchener Eisenbahn aus dem Archiv der FdE, Hamburg [Quelle: Foto K .Busse]: Die LBE Nr.17 war die letzte S10-Lokomotive, die im Jahr 1919 als Vierling in Dienst gestellt wurde. Hier im Zustand Mitte der 1930-er Jahre, rund 10 Jahre nach ihrem Umbau zur Dreizylinderlok. [Quelle: C.Bellingrodt / Sammlung Leiß]

LBE 17 Bellingrodt

Schließlich aber hatte Karl-Julius Harder [2], der 1938 von der Rbd Schwerin nach Lübeck zur ehemaligen LBE abgeordnet worden war, bereits 1976 – unter Berufung auf LBE-Papiere – festgestellt, es seien sieben Vierzylinder-S10 beschafft und davon 4 Loks umgebaut worden. Die vorhandenen Zweifel an den Angaben der Mehrheit der Fachautoren ließen sich jedoch bisher nicht ernsthaft bestätigen oder widerlegen.

Mit Hilfe von Originalakten der LBE aus dem Archiv der Freunde der Eisenbahn (FdE) in Hamburg aber ist es nun möglich, die tatsächlichen Abläufe nachzuvollziehen. Bei diesen Akten handelt es sich um einen Teil der Beschaffungsunterlagen der früheren Hauptwerkstätte (HW) in Lübeck. Darin sind die Papiere über den Beschaffungsvorgang zusammen bestellter Lokomotiven abgelegt, wobei die LBE-HW ihre S10 und S10² auf den Aktendeckeln als Personenzuglokomotiven bezeichnet. Der größte Teil der Akten ist – für den heutigen Betrachter ungewohnt – vorwiegend in Fadenbindung zusammengeheftet.

LBE Beschaffungsakten klein

Die Akten beginnen in aller Regel unmittelbar nach dem Beschluss der Direktion der LBE, eines oder mehrere neue Fahrzeuge zu beschaffen. Sie beinhalten prinzipiell den gesamten Schriftverkehr bis zur Anlieferung und Abnahme der bestellten Lokomotiven. Meist liegen auch noch weitere Unterlagen über spätere Ergänzungen der technischen Ausstattung, den Austausch verschlissener Großteile sowie Angaben über grundsätzliche Umbauten vor. Dieser Teil der Akten ist bislang noch nicht aufgearbeitet.

Einen bedeutenden Teil der Beschaffungspapiere nehmen die Schriftstücke des Herstellers bzw. seiner Zulieferer ein. Leider wurden die dort ursprünglich einmal beigefügten Skizzen und Zeichnungen schon bei der LBE entnommen und dem dortigen Zeichnungsarchiv zugeführt, dessen Verbleib derzeit noch nicht geklärt ist.

Wegen der festgestellten Widersprüche zwischen den Angaben des Betriebsmittelverzeichnisses und der Literatur war das erste Ziel der Aktenauswertung, die genauen Lieferdaten der S10- und S10²-Lokomotiven zu ermitteln sowie die Umbauten von Vierzylinder- zu Dreizylinderlokomotiven zu datieren.

1. Akte – Beschaffung von drei 2’C-Heißdampf-Vierzylinder-S-Loks (Az.: 92 V 30i):

    Vor der Bestellung der ersten 2’C h4-S-Lokomotiven gab die LBE zunächst eine Untersuchung in Auftrag, durch die die  
    günstigste Lokomotiv-Bauart für ein vorgegebenes Betriebsprogramm bestimmt werden sollte. Beauftragt wurde die
    Maschinenbauanstalt Breslau (später Linke-Hofmann), die erst wenige Monate zuvor  im Dezember 1910 mit der Lok
    „WUPPER“ die letzte S5² (2’B n2v, ab 1917 Nr.7) an die LBE geliefert hatte.

    Zunächst empfahlen die Breslauer die Beschaffung einer 2’C h2-Maschine. Die LBE-Leitung favorisierte zu diesem
    Zeitpunkt aber schon ein Vierzylinder-Triebwerk, wie aus der Stellungnahme zum Entwurf des Berichts hervorgeht. In der
    überarbeiteten Studie wurde dann auch eine 2’C h4 Lokomotive als die am besten geeignete Bauart dargestellt.

   Bei der anschließenden Ausschreibung für dier ersten drei Loks wurden Angebote von der Maschinenbauanstalt Breslau
   und Henschel & Sohn in Cassel eingeholt. Aufgrund des günstigeren Angebotes erhielt Henschel den Zuschlag.

   Mit Schreiben vom 6. November 1911 bestellte die LBE die Loks  „WEICHSEL“ (Nr.80, ab 1917 Nr.11), „ODER“ (Nr.81, ab
   1917 Nr.12) und „ELBE“ (Nr.82, ab 1917 Nr.13). Die Lieferung dieser, mindestens in Teilen neu konstruierten Loks erfolgte –
   wie von Henschel angeboten und vertraglich festgelegt – nach nur einem halben Jahr bereits im Mai 1912! Nach den
   Frachtpapieren wurden die Loks übrigens nicht zusammen und mit eigener Kraft, sondern einzeln „kalt auf eigenen Rädern“
   überführt und trafen am 11., 16. und 18. Mai 1912 in Lübeck ein. Alle drei Loks wurden noch im Mai abgenommen und dem 
   Betrieb übergeben.

LBE 81 Foto Henschel Slg. FdE

   Fabrik-Foto der zweiten LBE-S10 "Oder", Lok-Nr. 81 (ab 1917 = Nr.12) im Fotografier-Anstrich [Quelle: Henschel /  
   Sammlung FdE] und 20 Jahre später als Nr.12 mit Neubau-Kessel in Hamburg Hbf um 1935 [Quelle: U.Fuhrmeister / Sammlung FdE]

LBE 12 Hmb Hbf 31.07.1934 Ulrich Fuhrmeister klein

 

2. Akte – Beschaffung von zwei 2’C-Heißdampf-Vierzylinder-S-Loks (Az.: 92 V 30m):

   Auf Grund der guten Erfahrungen mit den neuen, als S10 bezeichneten Maschinen und des weiter angestiegenen Verkehrs
   bestellte die LBE bereits am 25. Mai 1913 zwei weitere Lokomotiven gleicher Bauart bei Henschel nach, deren erste, die
   „WESER“ (Nr.85, später Nr.14) noch im Dezember des gleichen Jahres geliefert und in Betrieb genommen wurde. Die
   zweite Lok „RHEIN“ (Nr.86, ab 1917 Nr.15) gelangte im Februar 1914 zur Auslieferung.

LBE 15 Hmb Berl Foto Hubert Slg. FdE

 

3. Akte – Beschaffung von zwei 2’C-Heißdampf-Vierzylinder-S-Loks (Az.: 92):

   Es ist in Anbetracht der Zeitumstände bemerkenswert, dass die nächsten Maschinen bereits am 28. September 1918
   bestellt wurden, also noch vor Ende des 1.Weltkriegs. In den Unterlagen findet sich – entgegen der Darstellung bei Werner
   Hubert [1] aus dem Jahr 1926 – aber kein Hinweis, dass eine Beschaffung von D r e i z y l i n d e r – Lokomotiven seinerzeit
   auch nur in Erwägung gezogen worden wäre! Die Lieferung der beiden Lokomotiven erfolgte im Juni 1919. Sie wurden unter
   den Nummern 16 und 17 in Betrieb genommen.

   Somit ist festzustellen, dass die LBE ab Sommer 1919 für den schnellen Reisezugbetreib über  insgesamt sieben 2'C h4-
   Lokomotiven der Gattung S10 sowie weitere sieben 2’B n2v-Lok der Gattung S5² für den schnellen Reisezugbetrieb
   verfügte.

   Aus den vorliegenden Akten und den Unterlagen des Henschel-Museums in Kassel sind nun noch einige offene Fragen zu
   diesen Loks zu klären. Denn es gibt Hinweise, dass es einige technische Abweichungen gegenüber den fünf bis 1914
   gelieferten Maschinen gab: Zum Beispiel die abweichenden Raddrücke oder die Tatsache, dass Nr.16 und 17 - spätestens
   nach dem Umbau zu  D r e i z y l i n d e r – Lokomotiven  eine um 100 mm höhere Kessellage (2.850 mm über Schienen-
   Oberkante = S.O.) als die ebenfalls umgebauten Loks Nr. 14 und 15 besaßen (hier 2.750 mm über S.O.). Es ist
   anzunehmen, dass die bei den beiden 1919 gelieferten Maschinen realisierte Erhöhung des Kesseldruckes auf 14 atü (bar)
   und die dadurch erforderliche Verstärkung der Kesselbleche ein Grund für das Anwachsen des Lokgewichtes war.

   Leider sind bislang keine Fotos der 16 und 17 aus der Zeitspanne zwischen 1919 und 1925 bekannt geworden, mit deren
   Hilfe sich die Annahmen zur Ausführung dieser Lokomotiven vor dem Umbau belegen ließen. Letztlich besteht wohl nur
   durch weitere intensive Durchforstung der vorliegenden Akten sowie noch nicht aufgesuchter Archive Aussicht, hierzu noch
   Näheres zu erfahren.

4. Akte Beschaffung von zwei und einer weiteren 2’C-Heißdampf - Dreizylinder -S-Lok (Az.: 92):

   Trotz der bereits rasenden Inflation entschloss sich die LBE im Frühjahr 1922 zur Beschaffung der nächsten Schnellzugloks.
   Jetzt wurde Henschel auch erstmals um ein alternatives Angebot zur Ausführung als 2’C h4 oder 2’C h3 gebeten. Der um
   etwa 2,5% günstigere Lieferpreis (4.100.000 M für die Vierzylinderlok zu 4.000.000 M für die Dreizylinderlok) gab vermutlich
   den Ausschlag, die Dreizylinderbauart zu wählen. Ende März 1922 wurden zwei Lokomotiven bestellt und im August - noch
   während des Baues - eine dritte.

   Erst diese als Nr.18 bis 20 bezeichneten Lokomotiven waren dann tatsächlich die ersten S10² bei der LBE. Sie wurden am
   11. bzw. 22. November 1922 sowie am 1. Februar 1923 geliefert, jeweils wenig später abgenommen und dem Betrieb
   übergeben.

Der Umbau zu  Dreizylinder - Loks (aus Unterlagen in der 2. u. 3.Akte):

   Anfang 1924 begann ein Schriftwechsel mit Henschel, um die Bedingungen für einen Umbau von Vierzylinder- zu
   Dreizylinder-Lokomotiven zu ermitteln.  Hintergrund waren wohl – zurzeit noch nicht genau ermittelte –
   Verschleißerscheinungen im Triebwerk der 1919 gelieferten Loks 16 und 17.

   Am 5. April 1924 wird der Auftrag zum Umbau der Lok 17 erteilt, die offenbar zu diesem Zeitpunkt bereits bei Henschel in
   Kassel zur Reparatur stand, denn schon am 31. Mai konnte die umgebaute Lok abgeliefert werden. Der ganze Umfang der
   mit dem Triebwerksumbau verbundenen Änderungen ist noch nicht erfasst, aber Speisewasserreiniger, Speisedom,
   Kolbenspeisepumpe und Vorwärmer wurden ebenfalls eingebaut. Aus dieser Auflistung ergibt sich, dass die Maschinen
   Nr.16 und Nr. 17 genau diese Einrichtungen bei Lieferung also nicht besessen hatten.

   LBE-S10² Nr.17 im Bw Hamburg Berliner Bf vmtl. nach 1930, bereits mit Windleitblechen und größerem Schlot sowie - im
   Bild etwas verdeckt - mit ergänzten Gegengewichten an den umgebauten Rädern [Quelle: Sammlung FdE]

LBE 17 BW Hmb Berl Slg. FdE

Der Umbau muss wohl die Triebwerksschwächen der Lok 17 überzeugend beseitigt haben, sodass die LBE bereits Ende Juli 1924 bei Henschel wegen des entsprechenden Umbaues der Lokomotiven 14, 15 und 16 anfragte. Auf der Basis des im August 1924 vorgelegten Angebotes der Firma Henschel & Sohn wurden die weiteren Umbauten in folgender Reihenfolge (genaue Daten siehe Tabelle am Ende) bis Mitte November 1924 in Auftrag gegeben: Nr.14, Nr.16. und Nr.15. Allerdings befanden sich diese Lokomotiven zum Zeitpunkt der Beauftragung wohl noch nicht in Kassel. Dadurch und durch Arbeitskämpfe im Frühjahr 1925 verzögerte sich die Fertigstellung. Lok Nr.14 wurde im Januar 1925 abgeliefert, Lok Nr.16 im März und Lok 15 erst Ende Juni. Erstaunlich bleibt aus meiner Sicht, dass Werner Hubert in seiner Schrift, die nur ein Jahr später erschienen ist, völlig andere Daten nennt, obwohl er sicher Zugang zu den Unterlagen hatte oder durch LBE-Mitarbeiter aus der Direktion oder HW beraten wurde.

Als weiterer sichtbarer Beleg für den Umbau von der Vier- zur Dreizylindermaschine kann ein im Foto nachweisbares Detail dienen: es wurden für diesen Umbau keine neuen Radsätze beschafft, wie es wegen der völlig anderen Kurbelstellung (3x120° statt 4x90°) eigentlich nötig und zu erwarten gewesen wäre. Um den Massenausgleich den neuen Triebwerks-Verhältnissen anzupassen, wurden stattdessen Zusatzgewichte an den Rädern montiert. Diese unschön wirkenden, zusammengesetzten Gegengewichte sind auf den Fotos der Lok 17 und 15 (der ersten und der letzten Umbaulok) wie auch auf dem Bild der Lok 16 mehr oder weniger gut zu erkennen.

LBE 16 Triebwerk

LBE Nr.16 kurze Zeit nach dem Umbau zur S10² auf der Drehscheibe des Bw Hamburg Berliner Bf; auch hier erkennbar die veränderten Gegengewichte; Lok noch mit Stangenpuffern und hochliegendem Luftschlauch, jedoch bereits mit Speisepumpe Bauart Fahdt, mit Mauszeiger Triebwersdetail (Quelle: W.Hubert / Sammlung H.J.Wenzel)

LBE 16 klein

   LBE S10² Nr.15, wieder im Bw Hamburg Berliner Bf wohl 1925/26 kurz nach dem Umbau, noch mit dem Ursprungs-
   Schornstein; gut sichtbar die geänderten Gegengewichte, mit dem Mauszeiger zur Detail-Ansicht! [Quelle: W. Hubert /
   Sammlung FdE]

5. Akte – Beschaffung einer 2’C-Heißdampf- Dreizylinder-S-Lok (Az.: 92):

   Genau in die Periode der Umbauten fiel dann die Bestellung einer weiteren neuen Lok, die im November 1924 bestellt, nach
   einem halben Jahr Bauzeit im Mai 1925 an die LBE geliefert und als Nr.21 in den Betriebsbestand übernommen wurde. Ob
   eventuell Verzögerungen beim Umbau der Lok 14 bis 16 für die Bestellung zu gerade diesem Zeitpunkt mit entscheidend
   waren, war den Unterlagen nicht direkt zu entnehmen. Jedenfalls durfte die Lok 21 im Jahr nach Ihrer Indienststellung als zu
   dieser Zeit neueste Schnellzuglok der LBE, mit Girlanden geschmückt, den Sonderzug zum 75-jährigen Jubiläum der LBE
   befördern.

6. Akte – Beschaffung einer 2’C-Heißdampf- Dreizylinder -S-Lok (Az.: 92):

   Für den genannten Jubiläumszug stand die am 9. November 1925 bestellte und am 21. April 1926 angelieferte Lok Nr.22
   offenbar noch nicht zur Verfügung.

   Mit der Nr.22 wurden verschiedene Neuerungen eingeführt, die dann für weitere neue Maschinen zum Standard wurden.
   Dies war zum Beispiel die elektrische Beleuchtung, die zu der Zeit ja auch bei der Reichsbahn gerade erst neu eingeführt
   worden war, oder Hülsenpuffer wie auch niedrig montierte Luftschläuche. Weiterhin wurden die Kessel ab Nr.22 um 200 mm
   verlängert und mit 4.900 mm langen Rohren ausgeführt.

7. Akte – Beschaffung einer 2’C-Heißdampf- Dreizylinder -S-Lok (Az.: Fach 62):

   Vorübergehend war der Bedarf an Schnellzuglokomotiven bei der LBE wohl gedeckt, denn es vergingen zwei Jahre, bis am
   17. November 1927 die nächste Maschine bestellt wurde. Die im April 1928 angelieferte und als Nr.23 eingereihte Lok
   erhielt von Anfang an Windleitbleche „nach Reichsbahnmuster“, die allerdings – wie später bei allen LBE-S10 und S10² –
   ohne Verbreiterung der Frontschürze und damit dichter am Kessel als bei den Reichsbahn-Loks eingebaut wurden.
   Ansonsten entsprach Lok Nr.23 hinsichtlich ihrer Ausrüstung weitgehend der Lok 22.

8. Akte – Beschaffung einer 2’C-Heißdampf- Dreizylinder-S-Lok (Az.: Fach 62):

   Die Wirtschaftskrise verhinderte, dass schon bald eine weitere Schnellzuglok beschafft werden konnte. Erst gegen Ende
   1930 wurde der Kontakt zur Firma Henschel erneut aufgenommen und am 3. Januar 1931 wieder eine S10² für die LBE
   bestellt. Bei dieser Lok wurde der Antrieb des innen liegenden Schiebers (für den Mittelzylinder) auf Wunsch der
   maschinentechnischen Leitung der LBE völlig verändert: Der Innenschieber erhielt nun einen eigenen Antrieb von der
   Heizerseite her, wodurch sich diese, nach Anlieferung im Juli 1931 als Nr.24 bezeichnete Lok (wie auch die folgende Lok
   Nr.25) von allen anderen S10² der LBE und der Reichsbahn unterschied.

S10 24 550

   Die Innenschieber-Steuerung war im Übrigen auf bemerkenswerte Art und Weise von einer gekröpften Gegenkurbel an der
   Treibachse angetrieben, ihre Schwinge lag auf der gleichen Achse unmittelbar neben der des Außenschieberantriebs und
   die beiden Aufwerfhebel waren entsprechend nebeneinander auf der Steuerwelle befestigt. Die Übertragung der Bewegung
   nach innen erfolgte von einer Schubstange über Hebel mittels einer hinter dem Zylinderblock angebrachten Welle, wo für
   die Voreinströmung - wie an den Außenzylindern - Lenker und Voreilhebel eingebaut waren. Darüberhinaus wurde bei
   dieser Maschine anstelle eines Oberflächen-Vorwärmers mit Kolben-Speisepumpe eine Abdampf-Strahlpumpe eingebaut.
   Das Führerhaus erhielt einen großen Lüftungs-Aufbau mit seitlichen Luftklappen.

   Stark retouchiertes Fabrik-Foto der LBE-S10² Nr.24 von der Heizerseite mit der neuen Steuerung [Quelle: Henschel / Slg.
   FdE] und dazu das Fabrik-Foto der neuentwickelten Steuerung [Quelle: Henschel / Slg. FdE]

LBE 24 Foto Henschel Slg. FdE

LBE S10.2 Nr.24 Triebwerks Foto 850

   Darüber hinaus wurde bei dieser Maschine anstelle von Oberflächen-Vorwärmer und Kolben-Speisepumpe eine Abdampf-
   Strahlpumpe eingebaut. Das Führerhaus erhielt einen großen Lüftungs-Aufbau mit seitlichen Luftklappen.

9. Akte – Beschaffung einer 2’C-Heißdampf- Dreizylinder-S-Lok (ohne Az.):

   In ähnlicher Ausstattung, also mit der geänderten Steuerung und Abdampf-Injektor, wurde auch die letzte Schlepptender-
   Schnellzuglok der LBE, die Lok Nr.25 im April 1932 bestellt und am 24. November 1932 ausgeliefert.

   Auch bei dieser Lok gab es weitere technische Neuerungen an dieser Lok, so zum Beispiel die Ackermann-
   Sicherheitsventile über der Feuerbüchs-Rohrwand anstelle des von allen anderen S10 und S10² bekannten und bewährten
   Ramsbottom-Ventils vor dem Führerhaus.   25 LOK25 S10.2(Quelle: Hubert)

   Diese letzete S102-Maschine wurde übrigens – wohl wegen der schwierigen Finanzlage der LBE – im Wege des Mietkaufs
   erworben, zu einer Miete von 100,- RM / Tag ab dem Tag der Anlieferung. Innerhalb von drei Jahren sollte dann der Kauf
   durch Zahlung des verzinsten Restkaufpreises erfolgen. Das genaue Datum des Ankaufs konnte noch nicht ermittelt
   werden.

   Zur besseren Übersicht sei am Ende dieses Auswertungsberichts eine tabellarische Aufstellung der zuvor genannten
   Angaben angefügt:

LBE-Nr.
ab 1917

bestellt

Bauart

Henschel&Sohn
F.-Nr.

ausgeliefert Kassel ab / Lübeck an

Indienststellung

11

6.11.1911

2'C h4 + 3T16

11151

  9./11. 5.1912

Mai 1912

12

6.11.1911

2'C h4 + 3T16

11152

14./16. 5.1912

Mai 1912

13

6.11.1911

2'C h4 + 3T16

11153

15./18. 5.1912

Mai 1912

14

25. 4.1913

2'C h4 + 3T16

12345

12./13.12.1913

Dez. 1913

15

25. 4.1913

2'C h4 + 3T16

12346

20./22. 2.1914

Feb. 1914

16

28. 9.1918

2'C h4 + 3T16

16695

ca. 15. 6.1919

Juni 1919

17

28. 9.1918

2'C h4 + 3T16

16696

ca. 15. 6.1919

Juni 1919

18

25. 3.1922

2'C h3 + 3T16

19332

9./11.11.1922

Nov. 1922

19

25. 3.1922

2'C h3 + 3T16

19333

18./22.11.1922

Dez. 1922

20

18. 8.1922

2'C h3 + 3T16

19648

29. 1./ 1. 2.1923

Feb. 1923

17

5. 4.1924

2'C h3 (+ 3T16)

Umbau (16696)

? /31. 5.1924

Juni 1924

14

9. 9.1924

2'C h3 (+ 3T16)

Umbau (12345)

<sp

Feb. 1925

16

4.10.1924

2'C h3 (+ 3T16)

Umbau (16695)

18./23. 3.1925

April 1925

15

6.11.1924

2'C h3 (+ 3T16)

Umbau (12346)

? /20. 6.1925

Juli 1925

21

29.11.1924

2'C h3 + 3T16

20471

30. 4./ 2 5.1925

Mai 1925

22

9.11.1925

2'C h3 + 3T16

20658

17./21. 4.1926

Mai 1926

23

17.11.1927

2'C h3 + 3T16

21020

11./12. 4.1928

April 1928

24

3. 1.1931

2'C h3 + 3T16

21997

30. 6./ 2. 7.1931

Juli 1931

25

22. 4.1932

2'C h3 + 3T16

22146

22./24.11.1932

Dez. 1932

 

Das Schicksal der drei übriggebliebenen Vierlinge:

   Nun könnte man meinen und erwarten, dass die HW und die Direktion der LBE ein großes Interesse daran gehabt haben
   müssten, auch die verbliebenen drei S10-Vierlingsloks zu Drillingen umzubauen. Schließlich liest man heute allenthalben,
   die S10 der Reichsbahn seien als Kohlenfresser bekannt und gefürchtet gewesen und aus diesem Grund seit Beginn der
   1930er Jahre der Ausmusterung anheim gefallen.

   Mindestens auf die Loks 11 bis 13 der LBE scheint dies nicht zugetroffen zu haben, denn schließlich wurden diese Loks
   nicht umgebaut, es wurden im Gegenteil sowohl neue Zylindergruppen als auch ein neuer Kessel für Lok Nr.12 beschafft.
   Aber dieses Kapitel der LBE-S10-Geschichte muss noch aufgearbeitet werden.

Nachwort des Autors

Mit dieser ersten Abhandlung möchte ich auch zeigen, dass es durch Auswerten bislang noch nicht erschlossener Archivunterlagen dazu kommen kann, dass scheinbar unumstößlich feststehende Fakten widerlegt werden.

Schließlich möchte ich alle Leser um ihre Unterstützung bitten: für ein in Vorbereitung befindliches Buch über den Schnellzugverkehr auf den Gleisen der LBE werden noch historische Fotos, Unterlagen und Zeitzeugenberichte aus der bzw. über die Zeit zwischen 1900/1910 und 1946/1948 gesucht - gesucht sind also auch Hinweise zu den letzten Einsätzen im Bw Oldenburg Hbf.  

Zu den Zeitzeugenberichten zähle ich auch Erzählungen aus dem Familienkreis. Wenn Sie also etwas beitragen können, möchte ich Sie bitten, sich über die FdE (Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) oder die Freunde der LBE (Kontakt-Funktion direkt auf dieser Site) mit mir in Verbindung zu setzen, damit möglichst alle Fakten berücksichtigt werden können.  Denn: viele - für sich - unscheinbare Mosaiksteinchen werden am Ende ein ganzes Bild ergeben!

Literaturverzeichnis:

[1] Werner Hubert: Die Lokomotiven der Lübeck-Büchener Eisenbahn; Lübeck 1926

[2] Karl-Julius Harder: Erinnerungen an die LBE; Lokreport - Heft 48 (Nov./Dez.) 1974

[3] Alfred B.Gottwaldt: Die Lübeck-Büchener Eisenbahn, Alba-Verlag, Düsseldorf 1975

[4] M.Weisbrod: Dampflok-Archiv 5, Privatbahn-Lokomotiven, transpress, Berlin 1991