Der Lübecker Hauptbahnhof auf Ansichtskarten
Erstellt am Freitag, 02. Oktober 2009
Geschrieben von Ralf Böttcher
Die Bahnhöfe waren zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als dem reisenden Bürger für längere Strecken kein anderes Verkehrsmittel zur Verfügung stand als die Eisenbahn, das Eingangstor jedes Ortes mit Bahnanschluß. Es verwundert daher nicht, daß die Stationen vor allem in den Jahren 1900 - 1914 , als die Herstellung und Versendung von Ansichtskarten ihre Hochzeit erlebten, häufig auf Karten abgebildet wurden. Dies erfolgte mitunter auf Mehrbildkarten, auf denen neben dem Bahnhof weitere Sehenswürdigkeiten der Ortschaft abgebildet waren, häufig jedoch auch als Vollbild.
Dem Verfasser sind aus der Umgebung von Lübeck sogar Vollbildkarten der Haltestellen derart bedeutungsloser Orte (deren Einwohner mögen sich bitte nicht beleidigt fühlen!) wie "Grieben" (Strecke Lübeck - Bad Kleinen), Groß Thurow (Ratzeburger Kleinbahn) und Treuholz (Strecke Hagenow Land - Ratzeburg - Bad Oldesloe) bekannt. Es verwundert daher nicht, daß der Hauptbahnhof der Hansestadt Lübeck selbst erst recht zahlreiche Ansichtskarten schmückte, obwohl die Stadt viele andere, kulturhistorisch weitaus bedeutsamere Bauwerke aufwies.
Nicht ganz so zahlreich sind allerdings Ansichtskarten, welche den alten, bis 1908 von Reisezügen angefahrenen Lübecker Hauptbahnhof zeigen, der vor dem Holstentor im Bereich der heutigen Gebäude der Filiale Lübeck der Deutschen Bundesbank bzw. des Senator Hotels liegt.
Die Tatsache, daß dessen Empfangsgebäude nicht so häufig als Kartengruß versandt wurde, dürfte nicht zuletzt ihre Ursache darin haben, daß der Ersatz des Bauwerkes wegen der für das gestiegenen Zugaufkommen zu beengten Platzverhältnisse in der Zeit ab 1900 schon geplant war und die Anlagen als "unmodern" galten.
Trotzdem sind vom alten Lübecker Bahnhof verschiedene Motive bekannt. Zum einen gibt es mehrere Ansichtskarten vom Bahnhofsvorplatz, z.B. mit dem damals dort aufgestellten Bismarck-Denkmal.
Zum anderen wurde auch die Gleisseite aufgenommen, wobei der Fotograf in der Regel einen leicht erhöhten Fotostandpunkt aus den Wallanlagen heraus wählte.
Nach der Eröffnung des neuen, bis heute genutzten Hauptbahnhofs in der Vorstadt St. Lorenz im Jahre 1908 stieg die Zahl der in Lübeck verkauften Ansichtskarten mit Bahnhofsmotiven schlagartig an. Das Gebäude war modern, repräsentativ und hatte ein Aussehen, auf das der hanseatische Bürger stolz sein konnte. Besonders häufig sind Aufnahmen vom Bahnhofsvorplatz, die aus allen erdenklichen Positionen aufgenommen wurden - von links, von rechts, mit oder ohne Straßenbahn, die damals selbstverständlich vor dem Bahnhof hielt. Wer alte Karten dieser Art sucht, wird dank des Internets sogar heute schnell fündig. Bei "Ebay" dürften, wenn man die Suchbegriffe "Lübeck" und "Hauptbahnhof" eingibt, immer einige Karten im Angebot sein, und oft erfolgt der Zuschlag für wenige Euro.
Fotos der Gleisanlagen sind deutlich seltener, hier wurden meist die Meierbrücke oder die auf diese führende Rampe als Fotostandpunkt gewählt.
Besondere Raritäten stellen Innenansichten dar, hier konnte der Verfasser trotz langjähriger Sammlertätigkeit bisher nur eine vom Bahnsteig aus aufgenommene Karte erwerben.
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ging die Zahl der veröffentlichten Karten des Hauptbahnhofs zurück, und deren Druckqualität wurde erheblich schlechter. Dennoch wurden Abbildungen des Bahnhofsvorplatzes weiterhin verkauft, während nach 1920 entstandene Bilder von der Meierbrücke kaum noch zu finden sind.
Eine Besonderheit aus den dreißiger Jahren stellen die Aufnahmen des Altmeisters der deutschen Eisenbahnfotografie, Ernst Bellingrodt aus Wuppertal, dar. Dieser besuchte Lübeck mindestens ein mal und nahm mehrere von Lokomotiven der LBE bzw. ELE bespannte Züge von der Brücke östlich des Bahnhofes auf. Diese Fotos wurden allerdings - soweit dem Verfasser bekannt ist - nicht wie sonst üblich im Bahnhofsbuchhandel verkauft, sondern auf Bestellung insbesondere von Eisenbahnfreunden von der Familie des Fotografen abgezogen und zu einem aus heutiger Sicht relativ geringen Preis verkauft. Viele Bellingrodt-Abzüge dürften daher erst nach der Aufnahme nach dem Zweiten Weltkrieg angefertigt worden sein. Trotzdem wies das von Bellingrodt verwendete Fotopapier auf der Rückseite die typische Ansichtskarteneinteilung auf, sodaß zumindest theoretisch ein Versand als Kartengruß möglich gewesen wäre.
Wenngleich das Gebäude des Hauptbahnhofes in Lübeck im Zweiten Weltkrieg anders als in anderen Großstädten von schweren Schäden verschont und im wesentlichen erhalten blieb, ging die Zahl der in der Nachkriegszeit verkauften Vollbildkarten deutlich zurück. Eine besonders interessante Karte aus den fünfziger Jahren zeigt eine Luftaufnahme, auf der nicht nur der Bahnhof selbst, sondern auch dessen Umgebung mit den ersten Neubauten der Nachkriegszeit zu betrachten sind.
Seit einigen Jahren scheint der Lübecker Hauptbahnhof für einen Kartengruß nicht mehr zu taugen. Über die Gründe kann man nur mutmaßen. Fakt ist, daß das Umfeld des Lübecker Bahnhofes, wie bei vielen anderen Bahnhöfen auch, im Verlaufe der 70er und 80er Jahre zur "Schmuddelecke" der Stadt verkommen ist.
Als der Verfasser vor einiger Zeit in der Bahnhofsbuchhandlung eine derartige Vollbildkarte kaufen wollte, war seine Suche jedenfalls kein Erfolg beschieden. Das Angebot beschränkte sichauf Abbildungen der bedeutendsten Sehenswürdigkeit der Inenstadt sowie einige Kitschkarten. Trotzdem bleibt zu hoffen, daß das Kapitel der Ansichtskarten vom Lübecker Hauptbahnhof noch nicht abgeschlossen ist. Die nun abgeschlossene Restauration des Hauptbahnhofes selbst, sowie jüngst die Auferstehung des Handelshofes als Hotel, sowie die in der Planfeststellung befindliche Neugestaltung des Vorplatzes lassen hoffen, daß diese Stadtregion wieder an Attraktivität und Ausstrahlung gewinnt!