His Glanzzeit Bild 08Das Altstadtgleis in Lübeck

Erstellt am Sonntag, 20. Februar 2011
Geschrieben von Melchior Leiß

 

Lubeck 1910 Altstadt

Die Lübecker Hafengleisanlage - einschl. Altstadtgleis - zur Blütezeit im Jahre 1910 [Quelle: (1)]

Die Diskussion um den betriebsfähigen Erhalt der Altstadtgleise flammt derzeit im Zusammenhang mit einem Investitionsprogramm der Lübeck Port Authority für den Konstinkai wieder auf (Anmerkung: die "Lübeck Port Authority" ist seit 2008 die Lübsche Aufsichtsbehörde für alle Häfen, und hat seitdem auch die Hoheit über die - bislang zur Lübecker Hafengesellschaft "LHG" gehörigen - Hafenbahn "Nordic Rail" übernommen).

Die Anbindung auf dem Schienenweg aus Brandenbaum war seit Herbst 2009 aufgrund von Oberbaumängeln gesperrt; die Wiedereröffnung konnte nach umfangreichen Sanierungsarbeiten  im Januar diesen Jahres erfolgen. Den bereits todgeweiten Konstinkai  erwartet nun ein zweiter Frühling, da nach dem Müsli-Hersteller Brüggen nun seit Mitte letzten Jahres auch der Windenergie-Konzern Vestas beschlossen hat, sich dort zu etablieren.

Gleichzeitig soll aber das letzte Altstadtgleis entlang der Untertrave endgültig stillgelegt werden. Dabei sei angemerkt, dass diese Diskussion keineswegs neu ist.  Es gab bereits vor fast einem Jahrzehnt Empfehlungen des Wirtschaftsausschusses (11. Febr. 2002) und des Bauausschusses (18. März 2002) zur Stillegung.

Wie wir wissen, wurden dann in den Folgejahren im Rahmen der Umwidmung und Neubebauung der Wallhalbinsel (Stichworte: "Mediadocks", früher "Behnkai" und "Kulenkampkai") die dortigen Gleisanlagen stillgelegt, nicht jedoch das Altstadtgleis selbst.

Wie bei vielen Dingen in Lübeck, verlief diese Initiative diesbzüglich damals im Sande. Seit dem Beginn der Bauarbeiten für die neuen Fertigungsbauten von Brüggen an der Hafenstraße ist die Gleisverbindung des Altstadtgleises hier jedoch gekappt, damit ist es seiner Existenzberechtigung endgültig beraubt.

Dennoch, diesmal scheint es ernst zu sein, wenngleich das Thema auch zur regulären Sitzung der Bürgerschaft am 27.01.2011 nicht auf der Tagesordnung steht! Es ist jedoch zu befürchten, dass früher oder später das "Damokles-Schwert" fällt! Deshalb hier ein Rückblick plus Bestandsaufnahme.

Der Lübecker Hafen, d.h. das stadtseitige Ufer der Trave mit seinen Kaianlagen, wurde unmittelbar nach Eröffnung der Stammbahn der LBE im Jahre 1851, an das Gleisnetz angebunden. Ein Stadtplan aus dem Jahre 1854 zeigt die damaligen Gleisanlagen. Es existieren zunächst keine Hafenanlagen auf der Wallhalbinsel, die LBE hatte sich verpflichtet, dort einen Bürgerpark zu errichten mit einem - sogar in offiziellen Karten "Chimborazzo" bezeichneten Aussichtspunkt (siehe Foto weiter unten). Die Bahnanlagen umfuhren diesen Park in Schlangenlinie und endeten bis zur Errichtung der Strecke der Eutiner Bahn 1973 am "Teerhof".
Die Anbindung eines Gütergleises parallel zur Kaimauer des Lübecker Stadthafes an der Untertrave "Das Altstadtgleis", welches sich damals entlang der Hafenanlagen bis zum Travebogen östlich des Burgtores  erstreckte, ist definitiv die älteste noch erhaltene Gleisanlage der LBE in Lübeck!

Luebeck 1854 ausschnittDiese Karte aus dem Jahre 1854 zeigt also den Gleisverlauf, wie er im Grundsatz zumindest in der Altstadt bis 1892 unverändert bestand. Insbesondere wurde bereits kurz nach Eröffnung der Lübeck-Büchener Stammstrcke 1851 zunächst mit einem Anschlussgleis neben dem Holstentor und zweier kleiner Drehscheiben realisiert. Das Gleis verlief im übrigen zwischen Straße und den Schuppen Nr. 1 (am Holstentor) bis 9 (am Burgtor) - die Schuppen 6 und 9 stehen noch heute, freilich in vollkommen neuer Nutzung!

Das heißt, der Umschlag erfolgte niemals direkt vom Schiff auf die Bahn, sondern wie beim übrigen Weitertransport zu Lande mit Zwischenlagerung in den Schuppen; hier wechselte grundsätzlich die Fracht-führerschaft und ggf. der Eigentümer des Frachtgutes.

 

Die Altstadtsituation 1854 - drei Jahre nach Eröffnung der LBE [Quelle: (1)]

Die Zufahrt zum damals noch einzigen Lübecker Seehafen entlang der Untertrave - flußauf für Segelschiffe und flußab für Dampfschiffe - konnte damals also nur über diezwei Drehscheiben erfolgen, einzeln, Wagen für Wagen, und zwischen den beiden Drehscheiben durch Pferde oder auch Menschenkraft - wie sonst!

Ein weiterer Hinweis darauf, dass damals generell mit Einzelwaggons rangiert wurde, ist das defacto fehlende Kehrgleis am Ende des Innenstadtgleises vor dem Burgtor. Dies ist nur dadurch erklärlich, dass das Umschlagsvolumen Schiff - Schiene damals zunächst vergleichsweise gering war. Im Laufe der Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dieser Engpass trotz Nachtschichtbetrieb - so die Berichte von damals -  jedoch unerträglich.

Holstentor1 Holstentor2

Blickrichtung Nordwest: Holstentor und alter Bahnhof im Hintergrund

           Blickrichtung Ost: Drehscheibe 2 und Untertrave

untertrave1 400 untertrave2 400
                     Untertrave, Blickrichtung nordost                                Untertrave, Blickrichtung südwest
luebeck untertrave

hafen luebeck

  Blick vom 'Chimborazzo' auf den Ort der späteren Drehbrücke

           Blick auf Altstadtgleise im Bereich des Burgtores

        [Quelle der historischen Fotos: (2)]                    

Diese Erkenntnis setzte sich auch im Lübschen Senat - weniger in der Bürgerschaft - durch: Die Verbesserung der Einbindung der Eisenbahn in die Verkehrskonzepte wurde eine wichtige Aufgabe für den neuen Baudirektor der Hansestadt, Peter Rehder, der im Jahre 1875 seinen Vorgänger Louis Martiny ablgelöst hatte. 

Eines seiner Verdienste war die Beseitigung dieses betrieblichen Engpasse; er endete  mit der Inbetriebnahme der Drehbrücke gegenüber der Engelsgrube am 23. August 1892. Damit waren die Schuppen 1 bis 9  der Innenstadt direkt auch durch Ganzzüge erreichbar. Die Drehscheiben am Holstentor blieben jedoch noch bis zum Ersten Weltkrieg erhalten. 

Drehbruecke 400

Die Drehbrücke Blickrichtung Nordost [Quelle:(5)]

hubbruecke 400

Die Hubbrücke an der Mündung des Klughafens [Quelle: (3)]


Eine zweite Revolution in Hinblick auf die Verkehrswege Lübecks nach der Gründung der LBE war die Eröffnung des Elbe-Lübeck-Kanals im Jahre 1900. Er löste den den technisch vollkommen veralteten Stecknitz-Delvenau-Kanal ab. Dies hatte im Lübecker Stadtgebiet enorme Auswirkungungen: Die Wakenitz wurde abgebunden, statt ihrer bildete nun der neue Elbe-Lübeck-Kanal die östliche Umgrenzung der Altstadt. Es enstand dort der Klughafen als Endpunkt des Kanals. Die Landbrücke am Burgtor wurde durchbrochen, um den Klughafen mit den Travehäfen zu verbinden; die Lübecker Altstadt wurde zur Insel. Für die Schienen- und Straßenverbindungen wurde jeweils eine Hubbrücke errichtet, die zwar bis heute im Prinzip betriebsfähig bestehen; aber nur die Straßenbrücke soll bis 2013 technisch modernisiert werden, die Eisenbahnbrücke soll nur "optisch" im hochgestellten Zustand erhalten werden.

Der Klughafen wurde natürlich sofort sowohl vom Innenstadtgleis  als auch auf der Ostseite durch Gleise entlang der Kaimauern angebunden (Diese Gleise bestand dann übrigens betriebsfähig  bis in die 80-er Jahre, und wurden dann "entwidmet". Mit den Rückbauten nach der Eröffnung des neuen Lübecker Hauptbahnhofes 1908 wurde die Verbindung wieder komplizierter: einmal Rückdrücken von der Roddenkoppel in die nunmehr abgeschnittenen Gleise auf der westlichen Wallhalbinsel wurde nötig.

Eine weitere betriebliche Herausforderung entstand durch die Eröffnung des Konstinkais im Jahre 1913. Auch dieser neue Hafen musste über das Altstadtgleis als Verlängerung östlich des Burgtores angebunden werden!  

Nichtsdestotrotz erreichte der Schienenverkehr im Altstadtbereich damals seine größte Ausdehnung in Hinblick auf die Gleisanlagen und erfreute sich bis zum 1. Weltkrieg wirtschaftlicher Leistungen, die später aufgrund der Konkurrenz neuer Hafenanlagen nie wieder erreicht wurden.

Burgtor Postkarte

Blick auf die Hubbrücke auf dieser Postkarte aus den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts [Quelle: (6)]

Einen weiteren grundlegenden Umbruch gab es 1934 mit der Gründung der Lübecker Hafengesellschaft, an der die LBE bis zu ihrer Auflösung Ende 1937 als Aktionär beteiligt war. Der Betrieb der Hafenbahn blieb bis dahin weiterhin voll in Händen der LBE.

Nach dem 2. Weltkrieg verlagerte sich jedoch der Umschlag aus der Altstadt mehr und mehr in die neuen Hafenbereiche. Mit Aufkommen der großen Schubschiffe der Europa-Klasse in den 70-er Jahren sank der Frachtverkehr im Elbe-Lübeck-Kanel aufgrund fehlender Passierbarkeit für Schiffe dieser Größe dramatisch - der Umschlag im Klughafen ging gegen Null. In den 70-er und 80-er Jahren  verschwanden daher nach und nach die Anschlüsse beiderseits des Klughafens (Der Konstinkai hatte im übrigen seinen neuen Anschluss von der Abzweigung Brandenbaum an der Schlutuper Strecke durch das Lauerholz bereits 1923 erhalten, womit die Begrenzung der Zuglängen für die Züge mit Massengutbeladung mit Holz und Papier aus Skandinavien über das Altstadtgleis schon damals behoben war!).

Dennoch wurde das Innenstadtgleis bis 2006 noch regelmäßig von Güterverkehr belegt. Ein wesentlicher· Grund war,  dass sich zumindest für kürzere Züge der lange Umweg über St. Jürgen und Wesloe für den Konstinkai bzw. zur Bedienung  weniger verbliebener Anschließer mit Einzelwaggons nicht lohnte. Diesem Umstand verdankte das Altstadtgleis seine bisherige Existenz .

NRS V100 002 in Lbeck 400 363 185 im lbecker Hafen 400

V100 der NRS passiert die Hubbrücke 2006 [Quelle: (7)]

363 der DB-Railion vor der Drehbrücke [Quelle: (7)]


Zu einem neuen Kapitel der Geschichte des Innenstadtgleises trug eine ganz andere Entwicklung der Eisenbahn in Lübeck bei: das Entstehen der Museumseisenbahnkultur im letzten Quartal des vorigen Jahrhunderts - hier in Lübeck maßgeblich betrieben durch den Verein Lübecker Verkehrsfreunde e.V.. Dem Verein wurde Jahre 1978 von der Lübecker Possehl-Stiftung der letzte voll erhaltenen Doppelstockwagen der LBE zum Erhalt und zur betrieblichen Nutzung anvertraut. Mit diesem Wagen und diversen Triebfahrzeugen wurden seitdem zahlreiche "Rundfahrten" um Lübeck durchgeführt, wobei die Altstadtgleise naturgemäß einbezogen wurden. Aber es gab auch andere Besucher - siehe Fotos!

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Besuch des WUMAG der Buxtehuder-Harsefelder Eisenbahnfreunde im Jahre 1984 vor dem Burgtor

Die 52 8080 im März 2003 auf dem Altstadtgleis zwischen Schuppen 6 und 9

2004 06 02 Foerster 400 2009 draisine

Ein VLV Sonderzug im Juni 2004 mit der rumänischen Lok 131.006 am Schuppen 6

Letzter Nutzer war Torsten Rux mit seiner Draisine im Jahre 2009

[Quelle aller Fotos dieser Seite: (4)]

Ein Highlight war diesbezüglich die große Schau historischer Lokomotiven anläßlich des 150-jährigen LBE-Jubiläums auf der Wallhalbinsel im Jahre 2001. Und schließlich fand die letzten Befahrung mit einem Museumszug im Jahre 2004 statt. Anläßlich des Festes zum 100-jährigen Jubiläum Im Dezember 2008 befuhren dann noch ein letztes Mal Sonderzüge mit einer 628/928 Garnitur das Altstadtgleis zwischen Hubbrücke, Drehbrücke und Roddenkoppel. Seitdem ruht der reguläre Betrieb mit Eisenbahnfahrzeugen.

Nun zum heutigen Zustand. Nicht nur wurden die durchgängig verbauten Rillengleise sorgsam instand gehalten; dank der strikten gesetzlichen Vorschriften wird bis zum heutigen Tage die Signalisierung des Altstadtgleises  so betriebsfähig unterhalten, als könne jederzeit ein Zug passieren!

Dabei begegnen wir gleich zwei Absurditäten! Beginnen wir am Burgtor. Das Verbindungsgleis vom Güterbahnhof Konstinkai endet hier bereits seit längerem an der der Hubbrücke an einer Sh2-Tafel. Aufgrund der Unterbrechung des Gleises aus Richtung Konstinkai an der Hafenstraße  vor dem Brüggen-Lagerhaus hat  freilich kein Triebfahrzeugführer die Gelegenheit, weder diesem Signal, noch dem Gleissperrsignal dahinter Aufmerksamkeit zu schenken! Die zahlreichen Verkehrsschilder dahinter entbehren natürlich auch nicht einer gewissen Ironie ---

Ähnliches gilt für die Rückschau vom Altstadtgleis Richtung Osten: Auch hier ist das Gleissperrsignal noch in Funktion dank der Langlebigkeit der verwendeten Glühbirnen!

Bruecke Burgtor 400 Burgtor 2 400

Burgtor-Hubbrücke von Osten, November 2010

Hubbrücke von Westen, November 2010


Die Situation an der Drehbrücke ist ähnlich. Die Gleise sind inzwischen verschwunden.

 Drehbruecke 2 400  Wallhalbinsel 400

[Quelle aller Fotos dieser Seite: (5)]

Wie dem auch sei - das Schicksal des Altstadtgleises ist besiegelt!

Unser Dank gilt den folgenden Quellen:

(1) Das Katasteramt der Hansestadt Lübeck
(2) Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck
(3) Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, Amt Lübeck
(4) Fotosammlung Burkhard Hessler
(5) Fotosammlung Dr. Melchior Leiß
(6) Postkartensammlung Ralf Böttcher
(7) Fotosammlung Bastian Berlin