Die Möllner Notkonfirmation von 1937
Erstellt am Samstag, 26. Mai 2012
Diese Konfirmation war etwas ganz Besonderes, sie war ein riskantes Abenteuer. Lübecker Konfirmanden und ihre Eltern haben im Nationalsozialismus Zivilcourage gezeigt. Vor 75 Jahren, am 20. März 1937, machten sich etwa 1.000 Menschen gemeinsam mit einem Sonderzug heimlich auf den Weg nach Mölln. Sie wollten verhindern, dass Nazi-Pastoren die Kinder konfirmieren.
[Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist eine Syndikation des Artikels von Daniel Kaiser auf der Webseite von NDR-Info vom 18.03.2012 (Eine Erlaubnis vom Norddeutschen Rundfunk liegt vor, für die wir uns herzlich bedanken!) . Er ist ergänzt um einen eisenbahnhistorische Kommentar von Melchior Leiß.]
Diese Konfirmation war etwas ganz Besonderes, sie war ein riskantes Abenteuer. Lübecker Konfirmanden und ihre Eltern haben im Nationalsozialismus Zivilcourage gezeigt. Vor 75 Jahren, am 20. März 1937, machten sich etwa 1.000 Menschen gemeinsam mit einem Sonderzug heimlich auf den Weg nach Mölln. Sie wollten verhindern, dass Nazi-Pastoren die Kinder konfirmieren.
"Wir Kinder waren natürlich nun darauf gespannt, dass es losging. Die Erwachsenen haben gezittert, bis der Zug sich in Bewegung setzte", erzählt die heute 90 Jahre alte Gisela Potschkat, eine der 163 Konfirmandinnen und Konfirmanden von damals. Später wurde bekannt: Die Gestapo wusste von dem Sonderzug, griff aber nicht ein.
Die Flucht nach Mölln am Palmsonntag hatte einen Grund: In Lübeck saß mit Erwin Balzer ein fanatischer Nationalsozialist an der Spitze der Kirche. Er wollte aus Lübeck eine Vorzeige-Kirche der hitlertreuen "Deutschen Christen" machen. Die predigten zum Teil in Nazi-Uniformen von einem "heldischen Jesus". Der Bischof entließ die bekenntnistreuen, kritischen Pastoren und stellte sie unter Hausarrest.
Das Lübecker Kirchenvolk protestierte. Nach den Gottesdiensten versammelten sich Gemeindeglieder vor den Häusern der eingesperrten Pastoren und machten ihnen Mut. "Wir sangen 'Ein feste Burg ist unser Gott' oder auch 'Wach auf, Du deutsches Land'", erinnert sich Gisela Potschkat. "Das war aber nicht immer einfach, da stehen zu bleiben. Man wurde da auch schon mal bepöbelt."
In den Gemeinden brodelte es. Der Organist von St. Gertrud kam sogar ins Konzentrationslager Sachsenhausen - wegen Orgelsabotage. Und einmal entstand eine spontane Demonstration durch die Lübecker Innenstadt. Angeblich 2.000 Menschen zogen damals zum Haus des Nazi-Bischofs und sangen aus Protest ihre Glaubenslieder. Eine Demo - und das 1937! Kirchenmitglieder aus allen Schichten trugen diesen Protest, sowohl aus bürgerlichen als auch aus Arbeiterfamilien.
Der Konfirmandenunterricht fand nun heimlich statt. Der Vater eines Konfirmanden war der Direktor der damals noch privaten Lübeck-Büchener Eisenbahn. Er organisierte den Sonderzug nach Mölln. In der Nikolaikirche dort wurden die Jugendlichen dann vom Flensburger Pastor Ernst Mohr eingesegnet. "Wir wurden nicht nur von unseren Eltern vorgeschickt. Wir wussten als Konfirmanden ganz genau, um was es geht", erinnert sich Gisela Potschkat.
Die Geschichte aus Mölln wurde von der gleichgeschalteten deutschen Presse verschwiegen. Dennoch machte sie schnell die Runde und ermutigte die Bekennende Kirche in Deutschland. Die Reichskirche lenkte kurz darauf ein. Die eingesperrten Pastoren kamen wieder frei. Auch der Organist von St. Getrud wurde aus dem Konzentrationslager entlassen.
Die Möllner Notkonfirmation gilt als ein Höhepunkt des Lübecker Kirchenkampfes. Damals haben sich mutige Christen nicht einschüchtern lassen. Erfolgreich wehrten sie sich gegen die Verfälschung ihres Glaubens.
Daniel Kaiser
Norddeutscher Rundfunk
Landesfunkhaus Hamburg
Kulturredaktion
Kommentar:
Das Jahr 1937 war das letzte Jahr der Existenz der LBE. Die LBE war bereits seit 1933 schrittweise eigentlich komplett - wie auch die Reichsbahn - gleichgeschaltet worden. Schlüsselpositionen wurden Schritt um Schritt mit NSDAP Mitgliedern besetzt mit entsprechenden Folgen. Zum Beispiel hatte die LBE selbstverständlich zu den Reichsparteitagen der NSDAP die Sonderzug-Aktionen Richtung Nürnberg nach Kräften unterstützt.
Im Schatten des Besuches des im Febuar 1937 frisch ernannten Reichsverkehrsministers Dr. Dorpmüller im März des Jahres bei der LBE in Lübeck gab es ein Ereignis, das in dieser Hinsicht sehr ungewöhnlich erscheint. Die LBE organisierte eine Sonderzugfahrt für - heute würde man sagen "Dissidenten": Christen aus Lübeck, die entgegen der NAZI -Doktrin der "Deutschen Christen" ihre Kinder 1937 traditionell konfirmieren lassen wollten.
Es ist also ein bisher ungelüftetes Geheimnis, wer in der LBE den Mut besessen hat, diese offensichtliche Provokation gegenüber den nationalen und örtlichen Machthabern in einen Sonder-zugplan umzusetzen, ganz zu schweigen von den Kosten für Material und Personal? Im Artikl ist "der Direktor der damals noch privaten Lübeck-Büchener Eisenbahn als der Vater eines Konfirmanden " erwähnt! Wer war es?
Die Fahrten fanden mit dem damals für Sonderfahrten verfügbaren Fahrzeug-Material statt. Wenn von ca. 1000 Personen die Rede ist, läßt sich die Fahrzeugfrage relativ einfach beantworten: Damit kamen weder der Dampftriebwagen DT2000 noch der Dieseltriebwagen in Betracht; eine zumindest logische Hypothese wäre ein Zug mit den "Papageien"-Wagen und einer Tenderlok wie z.B. der Lok Nr. 132.
Hier ein Zug mit einer Wagengarnitur - wegen ihrer vielgestaltigen
Farbgebungen als "Papageien-Wagen" tituliert - in Travemünde.
Die Garnitur wurde gerne für Sonderzüge eingesetzt.
[Foto: Archiv der LBE, Dr. Duesberg]
Melchior Leiß